Home | Wissen | Hohe Dosis wirkt besser: Atropin verlangsamt Kurzsichtigkeit (Myopie) bei Kindern
Wissen

Hohe Dosis wirkt besser: Atropin verlangsamt Kurzsichtigkeit (Myopie) bei Kindern

Eine zunehmende Zahl an Kindern entwickelt heutzutage eine Kurzsichtigkeit. Und diese macht nicht nur Sehhilfen notwendig, sondern führt langfristig auch zu einem höheren Risiko für spezielle Augenerkrankungen. Vor diesem Hintergrund rückt Atropin – ein Wirkstoff, der als Augentropfen eingesetzt wird – seit einigen Jahren stärker in den Fokus. Eine neue systematische Analyse im British Journal of Ophthalmology zeigt nun, in welchem Maß die Wirksamkeit von Atropin durch Dosierung und und sogar Herkunftsregion beeinflusst wird. Die Ergebnisse geben Orientierung für Eltern, Optiker, Optometristen und Augenärzte, die sich im wachsenden, unübersichtlichen Angebot an Myopietherapien zurechtfinden müssen.

Myopieprävention mit Atropin: Was neue Daten über die richtige Dosierung verraten
Bild: © Karola G / Pexels

Atropin wirkt dosisabhängig: höhere Konzentrationen bremsen die Myopie stärker

Atropin-Augentropfen sind Medikamente, die die Pupille erweitern und die Fokussierungsfähigkeit des Auges vorübergehend lähmen. Sie werden eingesetzt, um den Augenhintergrund besser analysieren zu können, Entzündungen, darunter zum Beispiel Irisentzündungen, zu behandeln und in niedriger Dosierung das Fortschreiten einer Kurzsichtigkeit (Myopie) bei Kindern zu verlangsamen. Atropin wirkt, indem es den körpereigenen Botenstoff Acetylcholin an muskarinischen Rezeptoren blockiert. Dadurch entspannen sich die Augenmuskeln, was zur Pupillenerweiterung (Mydriasis) und zur Hemmung der Akkommodation führt – also der automatischen Fähigkeit das Auge auf nah und fern zu richten.

Die aktuelle Analyse vom British Journal of Ophthalmology umfasst 34 randomisierte kontrollierte Studien, in denen 7.993 Kinder im Alter bis 16 Jahre über mindestens ein Jahr begleitet wurden. Untersucht wurde, wie schnell die Kurzsichtigkeit pro Jahr zunahm – gemessen unter anderem an der sphärischen Äquivalentrefraktion (SER), einem Wert, der die Stärke der Fehlsichtigkeit ausdrückt, und der Achslänge des Augapfels (AL), die bei kurzsichtigen Augen meist größer wird.

Die Auswertung zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen Dosierung und Effektstärke: Niedrige Konzentrationen von unter 0,1 Prozent verringerten die jährliche Myopiezunahme bereits spürbar. Mit 0,1 bis unter 0,5 Prozent verstärkte sich der Effekt deutlich und erreichte bei Konzentrationen ab 0,5 Prozent seinen höchsten Wert. Diese stärkeren Tropfen verlangsamten sowohl die Veränderung des Sehfehlers als auch das Längenwachstum des Auges im Vergleich zu unbehandelten Kontrollgruppen am stärksten.

Die Forschenden betonen, dass Atropin über alle Dosierungen hinweg wirksam ist, wobei höhere Konzentrationen einen zusätzlichen Vorteil bringen. Für die praktische Anwendung bedeutet das: Der Nutzen kann steigen, je höher die Konzentration gewählt wird – zugleich sollte sorgfältig abgewogen werden, ob mögliche Nebenwirkungen wie stärkere Blendempfindlichkeit oder Schwierigkeiten beim Lesen in der Nähe für das einzelne Kind vertretbar sind.

Regionale Unterschiede: Ostasiatische Kinder sprechen stärker auf die Behandlung an

Ein zentrales Ergebnis der Untersuchung betrifft die regionale Herkunft der Kinder. Ostasiatische Teilnehmende – aus Ländern wie China, Singapur oder Südkorea, in denen die Kurzsichtigkeit bei Jugendlichen sehr weit verbreitet ist – profitierten stärker von der Atropinbehandlung als Kinder aus südasiatischen Regionen oder aus Europa.

Die Studie erfasst diesen Effekt anhand der durchschnittlichen jährlichen Veränderungen der Refraktion und der Achslänge. Die stärkste Verlangsamung zeigte sich bei ostasiatischen Kindern, während die Effekte bei südasiatischen und europäischen Teilnehmenden schwächer ausfielen.

Warum das so ist, lässt sich aus den Daten allein nicht abschließend erklären. Diskutiert werden genetische Faktoren, unterschiedliche Lebensgewohnheiten wie intensiver Naharbeits- und Bildschirmgebrauch sowie Besonderheiten der Pupillenreaktion. Für die Anwendung in der Praxis bedeutet das: Die Wirksamkeit kann je nach ethnischer Herkunft oder Umweltfaktoren variieren, was man bei Beratung und Therapieplanung unter Umständen berücksichtigt kann.

Atropin als wichtiger Baustein: Dosierung und individuelle Faktoren entscheiden

Die Metaanalyse liefert ein klares Bild: Atropin ist ein wirksamer Baustein der Myopiekontrolle, dessen Nutzen dosisabhängig variiert. Gleichzeitig zeigen die Daten, dass sogar regionale und ethnische Unterschiede eine Rolle spielen. Grundsätzlich bleibt bei Atropin aber ohnehin die Notwendigkeit, Behandlungspläne individuell zu gestalten und Eltern über Nutzen, mögliche Nebenwirkungen und potenzielle Reboundeffekte beim Absetzen der Therapie aufzuklären.

Für die Myopiekontrolle bedeutet die Studie einen weiteren Schritt hin zu einer differenzierten und wissenschaftlich fundierten Beratung – in einer Zeit, in der immer mehr Kinder eine frühe und konsequente Betreuung benötigen, um langfristige Risiken der Kurzsichtigkeit zu reduzieren.

Zur Studie: Andrzej Grzybowski et al., “Ethnic and dose-dependent differences in atropine efficacy for myopia control: a systematic review and meta-analysis“, British Journal of Ophthalmology, DOI: 10.1136/bjo-2025-328518 (2025)

Weitere Informationen: Myopieprävention mit Atropin ist dosisabhängig“, Deutsches Ärzteblatt (2025)