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Unsichtbares Sehen – Diese Kontaktlinse macht Infrarotstrahlung sichtbar

Erst kürzlich hat ein Team aus Australien hat eine hauchdünne Folie entwickelt, die sich wie ein Nachtsicht-Upgrade auf herkömmliche Brillengläser aufbringen lässt (wir berichteten, Link s.u.). Und nun stellte ein Forschungsteam aus China eine Kontaktlinse vor, mit der Menschen Licht im infraroten Spektrum wahrnehmen können. Beide Entwicklungen basieren auf dem Einsatz von Nanopartikeln. Was bisher nur spezialisierten Sensoren vorbehalten war, rückt damit in die Nähe alltäglicher Seherfahrung. Die Entwicklung könnte einen möglichen Paradigmenwechsel markieren: weg von Sehhilfen im klassischen Sinne, hin zu Seherweiterungen auf molekularer Ebene.

Chinas Wissenschaft macht das Unsichtbare sichtbar

Ein interdisziplinäres Forschungsteam der University of Science and Technology of China (USTC) hat gemeinsam mit Kollegen der University of Massachusetts Amherst eine Kontaktlinse vorgestellt, die es ermöglicht, Licht im nahen Infrarotbereich (NIR) wahrzunehmen – ohne externe Hilfsmittel, wie Kameras oder Headsets. Eine technische Sensation, die mit einem „Aha!“-Effekt einhergeht: Mit dieser Linse könnten Menschen erstmals elektromagnetische Strahlung sehen, die bisher nur Geräten vorbehalten war.

Die Technologie basiert auf einem verblüffend eleganten physikalischen Trick. Die Oberfläche der Linse ist mit sogenannten “Upconversion Nanoparticles” (UCNPs) beschichtet. Diese Nanopartikel wandeln unsichtbares Infrarotlicht in sichtbares Licht um. Im Fachjargon spricht man von einem nichtlinearen optischen Prozess, bei dem zwei Photonen niedriger Energie in ein Photon höherer Energie überführt werden – das Resultat: Das menschliche Auge kann das Ergebnis sehen.

Um der allgegenwärtigen Präsenz multispektralen NIR-Lichts (Nahinfrarot) in natürlichen Umgebungen besser gerecht zu werden, ersetzten die Forschenden herkömmliche UCNPs (Upconversion-Nanopartikel) durch trikromatische UCNPs. So konnten sie trikromatische Upconversion-Kontaktlinsen (tUCLs) entwickeln, die es ermöglichen, drei verschiedene NIR-Wellenlängen zu unterscheiden und ein erweitertes Farbspektrum im NIR-Bereich wahrzunehmen. Durch die Kombination von Farb-, Zeit- und Rauminformationen erlauben tUCLs eine präzise Erkennung multidimensional codierter NIR-Daten und bieten eine verbesserte spektrale Selektivität sowie eine erhöhte Störsicherheit.

Abbildung: Farbwirkung verschiedener Muster (simulierte reflektierende Spiegel mit unterschiedlichen Reflexionsspektren) unter sichtbarem Licht und NIR-Beleuchtung – betrachtet durch ein tragbares Brillensystem mit integrierten tUCLs. (Abbildung vom Team um Prof. XUE)

Von der Grundlagenforschung zur Anwendung in der Augenoptik

Die potenziellen Anwendungsfelder dieser Technologie reichen weit über die reine Forschung hinaus: In der Medizin könnten Ärzte etwa entzündliche Prozesse oder Durchblutungsstörungen frühzeitig erkennen, in der Sicherheits- und Militärtechnik wären Überwachung und Orientierung bei Dunkelheit oder Rauch denkbar – ganz ohne Nachtsichtgerät. Erwähnt wird auch, dass Farbenblinde von der Technologie profitieren könnten.

Auch in der Industrie, etwa bei der Wartung heißer Maschinen oder der Qualitätskontrolle von Materialien, könnten Infrarotsignaturen direkt ins Sichtfeld der Anwender eingeblendet werden. Nicht zuletzt eröffnen sich auch für den Bereich der Augmented Reality neue Perspektiven: Infrarotmarker, die für das bloße Auge unsichtbar sind, könnten durch die Linse plötzlich in Echtzeit sichtbar werden – etwa zur Navigation, Objekterkennung oder Interaktion mit digitalen Systemen.

Besonders spannend: Die Linse funktioniert sogar bei geschlossenen Augen, da ein Teil des Infrarotlichts durch die Augenlider dringt. In einer Demonstration konnten die Forschenden ein „N“ aus reflektierenden Spiegeln sichtbar machen – im normalen Licht schwarz-weiß, unter NIR aber farbig und lesbar. Damit zeigt sich: Diese Linse ist mehr als ein technisches Gimmick – sie ist ein Türöffner in eine durchaus vollkommen neue Dimension des Sehens.

Ein Blick in die Wissenschaft

Die zugehörige Studie, veröffentlicht in Cell (Mai 2025), liefert den wissenschaftlichen Unterbau. Darin erklären die Forschenden die Integration von Halbleitern, Graphen-Elektroden und photonischen Mikrostrukturen in ein kompaktes Linsendesign. Die größte Herausforderung lag dabei in der Miniaturisierung: Das System musste nicht nur zuverlässig funktionieren, sondern auch biokompatibel und tragbar sein. Erste Tierversuche verliefen erfolgreich – die Linsen führten bei den Probanden zu keiner messbaren Reizung oder Beeinträchtigung der Hornhaut.

Im Artikel der USTC wird auch das Potenzial für zukünftige Entwicklungen betont: Künftig könnten andere Spektralbereiche – etwa UV oder THz – ebenfalls für das menschliche Auge erschlossen werden. Denkbar ist auch eine Kombination mit AR-Elementen oder smarte Steuerung per Blick.

Mehr als ein Gimmick – eine Revolution fürs Sehen?

Was hier entstanden ist, könnte eine kleine Revolution auslösen – und den Begriff „Sehhilfe“ völlig neu definieren. Für die Optikbranche bedeutet das: Wir stehen womöglich am Anfang eines Zeitalters, in dem die physiologischen Grenzen des menschlichen Sehens nicht mehr akzeptiert, sondern erweitert werden. Auch wenn die Technologie weit weg von einer Marktreife ist, lohnt es sich dennoch, schon jetzt hinzuschauen – denn die Entdeckung hat jetzt erstmal definitiv das Zeug, in ganz neuen Möglichkeiten zu denken. Welche das sind und was daraus entsteht, werden wir sehen.

Ma, Yuqian et al. (2025), “Near-infrared spatiotemporal color vision in humans enabled by upconversion contact lenses

Mitteilung der University of Science and Technology of China (USTC)

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