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Studie: Wie wirkt sich Handylicht auf die Augen aus?

Es ist eine der häufigsten Vorkommnisse im augenoptischen Beratungsalltag: müde, trockene und brennende Augen nach einem langen Tag, an dem das Smartphone ein ständiger Begleiter war. Dieses Phänomen, bekannt als digitaler Sehstress, stellt die Beratungskompetenz täglich auf die Probe. Während die Symptome offensichtlich sind, basierten Empfehlungen oft auf Erfahrung und allgemeinen Regeln. Doch was genau geschieht mit dem Tränenfilm und der visuellen Leistungsfähigkeit, wenn wir stundenlang auf die kleinen Displays blicken?

Studie: Wie wirkt sich Handylicht auf die Augen aus
Bildquelle: © Diana Grytsku / FREEPIK

Eine aktuelle Studie aus der Fachzeitschrift Clinical and Experimental Optometry liefert nun das fehlende Puzzleteil. Sie geht über allgemeine Beobachtungen hinaus und liefert erstmals präzise, quantitative Daten, die die physiologischen Ursachen des visuellen Unbehagens entschlüsseln – und bietet damit ein unschätzbares wissenschaftliches Fundament für die fundierte Kundenberatung im digitalen Zeitalter.

Dunkler Raum, heller Bildschirm: Welches Lichtszenario stresst die Augen am stärksten?

Um diese Frage wissenschaftlich zu beantworten, konzipierte das Forschungsteam um Meng et al. (DOI: 10.1016/j.clae.2025.102515) ein präzises experimentelles Design. Dreißig junge Probanden wurden gebeten, eine standardisierte, 30-minütige Leseaufgabe auf einem Mobiltelefon zu absolvieren. Der entscheidende Faktor war dabei die systematische Variation der Umgebungsbedingungen. Die Forscher schufen vier klar definierte Lichtszenarien, indem sie die beiden Schlüsselvariablen – Umgebungslicht (hell/dunkel) und Bildschirmhelligkeit (hoch/niedrig) – gezielt kombinierten. Die Testsituationen reichten von harmonischen, kontrastarmen Bedingungen wie dem Lesen in einem hellen Raum mit hellem Display bis hin zu der für viele Nutzer alltäglichen, kontrastreichen Situation: dem Lesen auf einem leuchtstarken Bildschirm in einem ansonsten dunklen Zimmer.

Vor und nach jeder Lesephase wurden objektive Indikatoren der Tränenfilmstabilität gemessen, darunter die Fluoreszein-Tränenaufrisszeit (FTBUT) und die Dicke der Lipidschicht. Während des Lesens zeichnete eine Infrarotkamera das Blinzelverhalten auf. Subjektive Fragebögen erfassten zudem das persönliche Empfinden von Komfort und visueller Ermüdung.

Die Ergebnisse waren eindeutig: Das Lesen in einem dunklen Raum auf einem hell erleuchteten Bildschirm führte zu den signifikantesten negativen Veränderungen. In diesem Szenario mit hohem Kontrast zwischen Display und Umgebung verschlechterten sich sämtliche gemessenen Parameter der Tränenfilmstabilität am stärksten. Parallel dazu stieg in dieser Gruppe die Rate unvollständiger Lidschläge, also das nur teilweise Schließen der Augen, markant an. Besonders aufschlussreich ist die festgestellte positive Korrelation ( r= 0.29, P = 0.03) zwischen der Frequenz unvollständiger Lidschläge und dem subjektiv bewerteten Grad der visuellen Ermüdung. Die Schlussfolgerung der Autoren ist daher unmissverständlich: Eine Nutzung von Smartphones unter Bedingungen mit hohem Helligkeitskontrast zur Umgebung sollte vermieden werden.

Das “Computer Vision Syndrom”: Ein bekanntes Phänomen wissenschaftlich untermauert

Die Resultate der Studie quantifizieren die Mechanismen hinter dem, was als “Computer Vision Syndrom” (CVS) oder digitaler Sehstress bekannt ist. Die Hauptursache für die beobachtete Instabilität des Tränenfilms liegt in der veränderten Lidschlagfrequenz. Bei konzentrierter Naharbeit, wie dem Lesen auf einem kleinen Display, sinkt die Blinzelrate unwillkürlich. Ein vollständiger Lidschlag ist jedoch essenziell, um die Tränenflüssigkeit gleichmäßig über der Hornhaut zu verteilen und die schützende Lipidschicht zu erneuern, die eine vorzeitige Verdunstung verhindert. Nimmt die Frequenz und Vollständigkeit der Lidschläge ab, reißt der Tränenfilm schneller auf, was zu trockenen Stellen auf der Augenoberfläche, Reizungen, Rötungen und einem brennenden Gefühl führt.

Die psychologische Komponente: Wie “Doomscrolling” den Sehstress verstärkt

Die Ursachen für eine übermäßig lange Bildschirmzeit sind komplex und gehen über reine Unterhaltung hinaus. Ein zunehmend relevantes Phänomen ist das sogenannte “Doomscrolling”. Dieser Begriff beschreibt das zwanghafte, oft stundenlange Konsumieren negativer Nachrichten auf Social-Media-Kanälen und News-Portalen. Angetrieben von dem menschlichen Bedürfnis, in unsicheren Zeiten informiert zu bleiben und Kontrolle zu erlangen, geraten Nutzer in einen Teufelskreis: Die Konfrontation mit beunruhigenden Meldungen verstärkt Angst und Stress, was wiederum den Drang auslöst, weiterzuscrollen – in der Hoffnung auf Entwarnung oder neue Informationen. Für das visuelle System bedeutet dieses Verhalten eine extreme Belastung. Es führt zu langen, ununterbrochenen Phasen intensiver Konzentration auf eine nahe Sehdistanz und potenziert damit alle Faktoren des Computer Vision Syndroms, von der reduzierten Lidschlagfrequenz bis zur muskulären Anspannung. Das Verständnis dieses Verhaltensmusters ist für die augenoptische Beratung von Bedeutung, da es erklärt, warum Kunden oft wider besseres Wissen nicht vom Bildschirm lassen können.

Mythen und Fakten: Die Debatte um Blaulicht und Myopie-Progression

Im Kontext digitaler Medien wird häufig die potenzielle Schädlichkeit des blauen Lichts (HEV-Licht) thematisiert. Wie wir bereits berichteten, sollte diese Debatte jedoch differenziert betrachtet werden. Die Sorge vor bleibenden Netzhautschäden durch das Licht von LED-Bildschirmen ist nach aktuellem Stand der Wissenschaft unbegründet. Fachinstitutionen wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) stellen klar, dass bei normaler Nutzung von Displays keine Gefahr für das Auge besteht. Zellschädigende Effekte wurden bislang nur unter Laborbedingungen mit extrem hohen Bestrahlungsstärken nachgewiesen, die in keiner Relation zur alltäglichen Exposition stehen. Symptome wie Augenbrennen oder Trockenheit sind daher nicht primär auf die Lichtfarbe, sondern, wie oben beschrieben, auf die Anstrengung der Naharbeit und den reduzierten Lidschlag zurückzuführen. Die relevantere Auswirkung von blauem Licht am Abend betrifft die mögliche Hemmung der Melatonin-Produktion. Dieser Eingriff in den zirkadianen Rhythmus kann das Einschlafen erschweren, wobei die individuelle Empfindlichkeit stark variiert. Ob systemseitige Nachtmodi oder Brillengläser mit Blaulichtfilter hier eine signifikante Verbesserung der Schlafqualität bewirken, ist wissenschaftlich noch nicht eindeutig belegt. Der Fokus sollte daher weniger auf der Lichtfarbe als auf einem bewussten Umgang mit digitalen Medien in den Stunden vor dem Schlafengehen liegen.

Ein weitaus realeres Thema für die augenoptische Praxis ist der Zusammenhang zwischen intensiver Naharbeit und der Progression von Kurzsichtigkeit (Myopie) bei Kindern und Jugendlichen. Während die Handynutzung bei Erwachsenen keine Myopie verursacht, gilt die Kombination aus stundenlanger Fokussierung auf kurze Distanzen und einem Mangel an Tageslicht als signifikanter Risikofaktor für das Längenwachstum des Augapfels bei Heranwachsenden. Regelmäßige Aufenthalte im Freien (mindestens eine Stunde täglich) wirken diesem Trend nachweislich entgegen.

Konkrete Handlungsempfehlungen für die augenoptische Beratung

Die Erkenntnisse der Studie ermöglichen es Augenoptikern, ihre Kunden noch gezielter und wissenschaftlich fundierter zu beraten. Über allgemeine Hinweise hinaus können konkrete, personalisierte Empfehlungen gegeben werden.

  1. Optimierung der Beleuchtung: Die zentrale Botschaft der Studie ist die Vermeidung von hohem Kontrast. Kunden sollte geraten werden, die Bildschirmhelligkeit an die Umgebungsbeleuchtung anzupassen und niemals in völliger Dunkelheit auf ein helles Display zu blicken. Eine gedimmte, indirekte Raumbeleuchtung ist ideal.
  2. Bewusste Verhaltensanpassung: Die Etablierung augenschonender Gewohnheiten ist entscheidend. Die 20-20-20-Regel (alle 20 Minuten für 20 Sekunden ein Objekt in 20 Fuß bzw. 6 Metern Entfernung ansehen) hilft, den Ziliarmuskel zu entspannen und Akkommodationskrämpfen vorzubeugen. Ebenso wichtig ist die Aufforderung zum bewussten, vollständigen Blinzeln, um der Austrocknung der Augenoberfläche aktiv entgegenzuwirken.
  3. Ergonomie und Sehabstand: Ein korrekter Sehabstand von mindestens 30-40 cm zum Smartphone reduziert die für die Augen erforderliche Anstrengung zur Konvergenz und Akkommodation. Eine aufrechte Körperhaltung beugt zudem Nacken- und Schulterverspannungen vor, die oft mit dem CVS einhergehen.
  4. Optische Unterstützungslösungen: Für Personen mit hohem digitalen Medienkonsum bieten moderne Brillengläser effektive Entlastung. Sogenannte “Digitalgläser” oder Gläser mit einer leichten Nahunterstützung (Low-Addpower-Gläser) reduzieren den akkommodativen Stress, ohne die Fernsicht zu beeinträchtigen. Sie sind eine ideale Lösung für Pre-Presbyope und alle, die über visuelle Ermüdung klagen. Für Arbeitsumgebungen mit mehreren digitalen Geräten bleiben individuell angepasste Bildschirmarbeitsplatzgläser die erste Wahl.

Die Studie von Meng et al. bestätigt eindrücklich, dass nicht die digitale Technologie per se, sondern deren falsche Anwendung und oft auch zwanghaftes Nutzungsverhalten die primären Ursachen für visuellen Stress sind. Für Augenoptiker liegt hierin die Chance, sich als kompetenter Berater für gesundes Sehen im digitalen Zeitalter zu positionieren. Durch die Vermittlung von Wissen über die physiologischen Zusammenhänge und das Aufzeigen individueller Lösungen – von der Verhaltensanpassung bis hin zu spezialisierten optischen Produkten – kann die Lebensqualität der Kunden nachhaltig verbessert werden.

Quelle: Meng et. al. (2025): “Effects of ambient illuminance and mobile phone screen brightness on tear film stability, visual fatigue, and blink patterns during reading