Eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) zeigt, dass Atropin-Augentropfen in einer Konzentration von 0,04 % das Fortschreiten von Kurzsichtigkeit bei Kindern wirksamer verlangsamen können als die bislang häufig eingesetzte niedrigere Dosierung von 0,01 %.

Kurzsichtigkeit – warum das Auge weiterwächst
Kurzsichtigkeit (medizinisch: Myopie) entsteht, wenn das Auge im Verhältnis zu seiner Brechkraft zu lang wächst. Dadurch liegt der Brennpunkt des Lichts vor der Netzhaut, und entfernte Objekte erscheinen unscharf.
Das Längenwachstum des Augapfels – die sogenannte Achsenlänge – ist dabei die entscheidende Messgröße. Je stärker sie zunimmt, desto ausgeprägter wird die Myopie. Besonders bei Kindern schreitet die Kurzsichtigkeit häufig rasch voran.
Methoden zur Myopiekontrolle
Um diese Entwicklung zu bremsen, stehen mehrere Verfahren zur Verfügung:
- Atropin-Augentropfen in niedriger Dosierung, die einmal täglich abends angewendet werden.
- Orthokeratologie (Ortho-K-Linsen): formstabile Kontaktlinsen, die über Nacht getragen werden und die Hornhaut leicht modellieren.
- Spezielle Brillengläser mit D.I.M.S.- oder H.A.L.T.-Technologie, die ein gezieltes Defokus-Muster erzeugen.
- Multifokale weiche Kontaktlinsen, die tagsüber getragen werden.
Alle Methoden zielen darauf ab, das Augenwachstum und damit die Zunahme der Kurzsichtigkeit zu verlangsamen.
Studiendesign: Vergleich von Atropin und Orthokeratologie
In die Studie wurden 209 Kinder im Alter von 8 bis 13 Jahren eingeschlossen, das Durchschnittsalter lag bei 10,5 Jahren. Alle hatten eine Ausgangsrefraktion zwischen –1 und –4 Dioptrien.
Die Kinder wurden nach dem Zufallsprinzip drei Gruppen zugeteilt:
- tägliche Gabe von Atropin 0,01 %,
- tägliche Gabe von Atropin 0,04 %,
- nächtliches Tragen von Orthokeratologie-Linsen.
Die Behandlungsdauer betrug 96 Wochen (knapp zwei Jahre), mit regelmäßigen Nachuntersuchungen alle zwölf Wochen.
Ergebnisse: Weniger Längenwachstum bei höherer Atropin-Dosis
Am Studienende konnten 149 Kinder ausgewertet werden. Die mittlere Zunahme der Achsenlänge betrug:
- 0,49 mm bei Atropin 0,01 %,
- 0,41 mm bei Orthokeratologie,
- 0,30 mm bei Atropin 0,04 %.
Das bedeutet: Kinder, die die höhere Atropin-Dosis erhielten, zeigten im Durchschnitt die geringste Zunahme der Augenlänge.
Nebenwirkungen: Lichtempfindlichkeit und Nahsehen
Die typischen Nebenwirkungen von Atropin sind eine erhöhte Lichtempfindlichkeit (Photophobie) und zeitweises unscharfes Nahsehen.
Nach drei Monaten berichteten 25 % der Kinder in der 0,01%-Gruppe und 56 % in der 0,04%-Gruppe über Photophobie. Nach zwei Jahren sank dieser Anteil jedoch deutlich – auf 2 % bzw. 23 %. Auch die Beschwerden beim Nahsehen gingen im Verlauf zurück.
In der Orthokeratologie-Gruppe zeigte sich bei etwa einem Viertel der Kinder eine Anfärbung der Hornhaut mit Fluorescein, was auf kleine Defekte der Hornhautoberfläche hinweist. Diese Veränderungen gelten als mögliche Komplikation und erfordern engmaschige Kontrollen.
Kritikpunkte an der Studie
Fachleute der Erasmus-Universität Rotterdam merkten in einem begleitenden Kommentar an, dass die Gruppengrößen relativ klein waren und keine Daten zu Lebensstilfaktoren vorlagen – etwa Zeit im Freien oder Naharbeit. Da die Studie während der COVID-19-Pandemie startete, könnten diese Einflüsse die Ergebnisse zusätzlich verzerrt haben.
Die Untersuchung legt nahe, dass Atropin in einer Konzentration von 0,01 % für eine wirksame Myopiekontrolle nicht ausreicht. Eine höhere Dosierung von 0,04 % zeigte stärkere Effekte, allerdings auch mehr Nebenwirkungen.
Für die Praxis bedeutet dies: Atropin 0,04 % kann für manche Kinder eine geeignete Option sein, sollte jedoch immer ärztlich überwacht und im Vergleich zu Alternativen wie speziellen Brillengläsern, multifokalen Kontaktlinsen oder Orthokeratologie sorgfältig abgewogen werden.
Zur Studie: Hannan Xu, MD et al. (2025), “Orthokeratology, 0.04% Atropine, and 0.01% Atropine for Myopia Control – A Randomized Clinical Trial“